Keiner der üblichen Superhelden
Es ist eine Entladung – von künstlerischer Leistungsfähigkeit, von Wut über die gesellschaftliche Schieflage, von Verzweiflung über die schwindende Empathie unter den Menschen. Seit langem hat kein Film den Nerv der Zeit so gut getroffen wie „Joker“.
„Geht es nur mir so oder wird die Welt da draußen immer wahnsinniger?“, fragt die Hauptfigur, Arthur Fleck, bei einer Therapiesitzung, und tatsächlich spiegelt sein psychologisches Profil zentrale Probleme moderner Gesellschaften: Arthur Fleck gehört zu der immer größer werdenden Schicht, die sich um das kleinste Stück des Kuchens prügeln muss, während sich die Bessergestellten auf Kosten der anderen bereichern und sich so weit von den Mitmenschen abgehoben haben, dass sie nur noch mit Verachtung auf sie herunterblicken. Wie auch der gar nicht ehrenwerte Thomas Wayne, der die Proteste der Menschen gegen Kürzungen im Sozialbereich, gegen die wachsende Kluft zwischen Reich und Arm, gegen die Vermüllung ganzer Stadtviertel mit der abfälligen Bemerkung abtut, das seien doch nur alle Clowns.
Doch selbst unter den sozial Benachteiligten ist Arthur ein Außenseiter: Ganz im Gegensatz zu seiner inneren Berufung als einer, der andere Menschen glücklich macht, müht er sich Tag für Tag durch die Schattenseiten des Lebens. Und zwar dort, wo sie am dunkelsten sind. Er wird geschlagen, betrogen, gedemütigt, so lange, bis man es kaum mehr aushält, ihm bei seinem Überlebenskampf in der Düsternis des Großstadtmolochs zuzusehen. Mehr durch Zufall und aus einer Notlage heraus wird er zum Mörder und stellt fest, dass ihm seine Tat die Anerkennung verschafft, die ihm in seiner Rolle als Freudenspender verwehrt blieb. Sein Idol, Fernseh-Comedian Murray Franklin, nennt ihn verächtlich Joker, dessen Inkorporation des Bösen wird ihm von der Gesellschaft auferlegt. Mit jedem Mord steigt sein Ansehen, jede positive Reaktion der wütenden Masse entfernt ihn weiter von seiner eigentlichen Berufung. Doch in einer derart zerstörten Welt, die sich außerhalb jeder Menschlichkeit konstituiert, kann man nur als Gallionsfigur der Unmoral Berühmtheit erlangen.
Todd Phillips hat mit Joker ein ehernes Meisterwerk geschaffen.
Todd Phillips zeigt uns ein trauriges und doch akkurates Gemälde unserer Zeit. Über den Anteil, den Joaquin Phoenix an diesem wohl besten Film unserer und über unsere Zeit hatte, wurde schon viel geschrieben. Klar ist, dass seit Robert De Niro in „Taxi Driver“ kein Schauspieler ein so ausgefeiltes, fein nuanciertes und vielschichtiges Porträt eines Menschen am Abgrund der Menschlichkeit auf die Leinwand gezaubert hat. Der Ausgang des filmischen Zusammentreffens des Altmeisters und seines legitimen Erben hat beinahe Symbolcharakter – mehr sei dazu nicht verraten. Seine Extraklasse hat Phoenix schon oft genug unter Beweis gestellt, aber als „Joker“ setzt er völlig neue Maßstäbe, an die so schnell keiner seiner Kollegen heranreichen wird. Das gilt auch für den Film selbst: Todd Phillips hat mit „Joker“ ein ehernes Meisterwerk geschaffen, einen Film, von dem man noch in Jahrzehnten sprechen wird. Mehr noch: „Joker“ ist nicht einfach nur ein Film, er ist ein Ereignis, so gewaltig wie die Eruption eines Vulkans.
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