Hilfe, ich esse rassistisch!

Hilfe, ich esse rassistisch!

Wieder was gelernt: Der aus dem afroamerikanischen Englisch stammende Begriff „Woke“ (für „stay woke“, also: „bleib wach“) beschrieb in den 1930ern ein erwachtes Bewusstsein für soziale Ungerechtigkeit und Rassismus. So weit, so wichtig. Zu der heutigen Woke-Bewegung gehören neben Menschen, die auf den Klimawandel aufmerksam machen wollen, auch Zeitgenossen, die rassistisch klingendes Essen anprangern. Beim mittlerweile ausgemusterten Negerkuss bekommen diese Zeitgenossen stressbedingte Herzrhythmus-Störungen, bei bestimmten Pizza-Sorten einen Darmverschluss.

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Man könnte jetzt natürlich spitzfindig anmerken, dass angesichts der Uiguren-KZs in China, der Machtübernahme der radikal-islamistischen Taliban in Afghanistan oder der Unterdrückung ganzer Volksstämme in Afrika der Rassismus gerade große Krisenherde befeuert. Aber dann würde man die Krise am Herd irgendwie nicht ernst nehmen, oder? Gut, anderswo geht’s um Leben und Tod, aber – hallo – hier geht’s ums Essen und wie es bezeichnet werden darf oder nicht.

 

Ich würde ja auch keine Faschisten-Pizza genießen, konnte mich aber beim besten Willen an keine Pizzeria erinnern, die mir jemals eine Pizza Mussolini oder gar eine Pizza Adolfo aufgetischt hat. Dass mir die Pizza Margherita, die nach Italiens anti-parlamentarisch eingestellter Königin Margarethe benannt ist, als faschistoider Klumpen im Hals stecken bleiben muss, war mir natürlich bisher nicht bewusst. Beim kolonial geprägten Einheitsbegriff des Curry tue ich mir mit dem Verzicht weniger schwer, wobei die Tatsache, dass ich der asiatischen Küche generell nicht so zugetan bin, schon wieder als rassistisch motiviert gelten könnte. Verflixt!

Mit dem Genuss von Spaghetti Puttanesca diskriminiere ich Liebesdienerinnen.

Diskriminierung und Essen gingen bei mir bisher eigentlich nur immer dann einher, wenn ich mir vorstellte, dass so vielen Menschen auf dieser Welt die italienische Küche vorenthalten bleibt – sei es aus irgendwelchen blöden religiösen Gründen oder einfach, weil sie zu weit vom kulinarischen Paradies entfernt wohnen. Jetzt muss ich erfahren, wie rassistisch italophile Leute wie ich essen. Ich diskriminiere zum Beispiel Liebesdienerinnen, weil ich Spaghetti Puttanesca wahnsinnig gerne mag, zeige mit dem Genuss von Malfatti offen meine Verachtung gegenüber Menschen mit Handicap (die eben manche Dinge falsch machen, weil sie’s nicht besser können) und strecke dann auch noch dem Teufel die Zunge aus, wenn mir von der Pizza Diavolo so heiß wird, dass ich nach Luft schnappen muss.

 

Was von den Kulinarik-Wokes offenbar weniger kritisch gesehen wird, ist der Begriff „Weißbrot“. Der wird von Menschen, die von ihrer Hautfarbe her eher dem Schwarzbrot zugeordnet werden können, für Mitmenschen mit hellerem bis sehr hellem Teint verwendet – wobei hier zu hinterfragen wäre, ob man von den Bräunungsstufen gebackenen Weizenbrotes direkte Rückschlüsse auf das rassistische Potenzial ziehen muss. Weißbrot jedenfalls steht nicht auf der schwarzen Liste der Woke-Bewegung. Genauso wenig wie Hamburger, Wiener Würstchen oder Schwarzwälder Kirschtorte. Ganz schön diskriminierend, diese Diskriminierungs-Detektive.

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