Der angekratzte Mythos eines Killers

Der angekratzte Mythos eines Killers

Vor fast zehn Jahren war er durch die Wand gekommen, hatte sich in das Leben fremder Frauen eingenistet, sie beobachtet, durchleuchtet, sie beschlichen und, besonders widerlich, ihre Zahnbürsten abgeleckt. 2012 hatte Drehbuchautor Sascha Arango für den Tatort ein bedrohliches Sujet kreiert und eine Kultfigur unter den Tatort-Tätern erschaffen. Kai Korthals verkörperte den ultimativen Albtraum eines wahrhaftigen Gespenstes, das unkontrolliert durch die Privatsphäre geistert und sich beizeiten in ein mordendes Monster verwandelt.

tatort

Lars Eidinger erweckte diesen Kai zum Leben, aber nicht als tumbe Freddy-Krueger-Mutation. Eidingers Korthals war der ganz normale, unauffällige, höfliche Paketzusteller, der sich nichts sehnlicher wünschte als ein 08/15-Leben mit Frau, Kind und kleiner Wohnung. Kein allzu hoher Anspruch ans Leben, möchte man meinen, aber für jemanden, der nicht gesehen wird, ein unerfüllbarer Traum. Zynischerweise kam Korthals mit einer Blinden und einer Schizophrenen seiner Vorstellung eines Normalo-Daseins am nächsten.

 

„Der stille Gast“, Titel des ersten Teils der Trilogie, funktionierte über die Adressierung von abstrakten Ängsten, die jeder nachvollziehen kann, der nach einem Horrorfilm schon einmal unters Bett geschaut hat. Die Morde selbst waren dabei nur zweitrangig, sie waren lediglich die zu erwartende Reaktion des Täters auf eine eskalierende Situation. Der Tod der Frauen war zu keinem Zeitpunkt das Ziel eines Kai Korthals. Er ist einfach passiert. Eine geniale Idee für einen Krimi, der seinen Schock-Effekt aus der Atmosphäre bezog.

Die Bedrohlichkeit der ursprünglichen Geschichte ging in den Folgeteilen verloren.

Wäre Arango doch nur dabei geblieben. Stattdessen drängte er bereits am Ende des ersten Teils seine so feinsinnig gesponnene Figur in die Rolle eines Hannibal-Lecter-Abklatsches und zitierte von nun an immer wieder aus der „Das Schweigen der Lämmer“-Mythologie. Eidingers grandioses Spiel bewahrte Kai zwar seine Eigenständigkeit, die Bedrohlichkeit der ursprünglichen Geschichte ging aber in den Folgeteilen verloren.

 

Der gestern ausgestrahlte finale Teil der Reihe war zwar immer noch ein spannender Thriller mit hervorragenden Schauspielern. Aber die überzogene Brutalität der Morde änderte nichts daran, dass der stille Gast seinen besonderen Schrecken verloren hat. Der maskierte Mann, der lautlos in den Schatten einer Abstellkammer zurücktrat und dort mit der Dunkelheit verschmolz, verwandelte sich in einen Beliebigkeits-Killer – zugegebenermaßen in einen mit einem beeindruckenden Charisma.

 

Natürlich ist es immer ein Genuss, Lars Eidinger bei der Arbeit zuzusehen. Noch dazu, wenn auch der Rest des Ensembles das hohe schauspielerische Niveau mitträgt – allen voran Axel Milberg als Kommissar Borowski. Für den Mythos Kai Korthals wäre der Hieb mit der Axt, den er sich gegen Ende des ersten Teil selbst zufügte, ein größerer Ritterschlag gewesen als die fast schon banal in den Mund gesteckte Pistole. Nicht aller guten Dinge sind drei, manchmal ist auch schon der erste Schuss ein Volltreffer.

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