Es war einmal der beste Streuner

Es war einmal der beste Streuner

Im Jahr der Corona-Pandemie tapste ein Kater jugendlichen Alters in unsere Siedlung – und, so kitschig das jetzt klingen mag, in unsere Herzen. Im Pfotenumdrehen hatte er sich verschiedene Schlafplätze und Futterstellen gesichert, zu Streicheleinheiten verpflichtete er praktisch jeden Zweibeiner, der seinen Weg kreuzte. Er schmiegte sich ebenso gern an Parkbesucher, die auf einer Bank Rast machten, wie an die Beine von Spaziergängern, die seinem Charme einfach nicht widerstehen konnten und sich zu ihm hinunterbeugten.

Äußerlich war der Streuner ein felines Allerweltsmodell – wenn diese Bezeichnung für so edle Tiere wie Katzen überhaupt zulässig ist. Sein weißes Fell zierte eine graugetigerte Decke, die um den Bauch gewickelt war und auch den Schwanz einpackte. Mit seinen riesigen Ohren und großen grünen Augen sondierte er aufmerksam jedes noch so kleine Vorkommnis in der Gegend, die er sich als neues Revier auserkoren hatte. Was diesen Kater so außergewöhnlich machte, war seine unbekümmerte Art und sein einnehmendes Wesen, das keine Wetterlage und auch keine Unannehmlichkeit trüben konnte.

Nicht einmal eine schwere Verletzung an der rechten Hinterpfote konnte ihn aufhalten, obwohl er es doch als sehr verstörend empfand, von einem seiner Zweibeiner deshalb zu einer Tierärztin gebracht zu werden. Angesichts seines extremen Freiheitsdrangs war es auch mit entsprechender Medikation jedoch unmöglich, die mittlerweile stark entzündete Stelle auszukurieren. Ein anderer Katzenmensch erkannte den Ernst der Lage und brachte den Kater, der sich bislang nicht zu einem Herrchen oder Frauchen bekennen wollte, ins Tierheim. Dort heilte die Pfote, aber dafür schmerzte die abenteuerlustige Seele.

Jeder mochte ihn, sogar diejenigen, die keine Katzen mögen

Doch einen Lebenskünstler wie ihn verlässt das Glück nicht so schnell und so wollte es das Schicksal, dass ihn eine Familie adoptierte, die just in seinem neuen Lieblingsrevier wohnte. Auf diese Weise kehrte er zurück in sein sorgfältig markiertes Paradies, fortan mit einem festen Wohnsitz und einem neuen Namen. Er war nun nicht mehr Pauli, Schatzi oder King of the Road, wie ihn die Bewohner seiner zufällig gewählten Komfortzonen genannt hatten. Ab sofort war er Nepomuk, Herrscher über das Stadtpark-Viertel, Bezwinger aller gegnerischen Vierpföter, Entzücker der Herzen. Jeder mochte ihn, sogar diejenigen, die keine Katzen mögen.

2023 spielte ihm seine Arglosigkeit einen bösen Streich. Beim Versuch, sein Revier weiter auszuweiten, geriet er beim sorglosen Überqueren einer Hauptstraße unter die Räder – leider im buchstäblichen Sinne. Ein Schwanzabriss und ein schweres Quetschtrauma ließ ihn wochenlang um sein Leben kämpfen. Eine ganze Siedlung fieberte mit. Nach und nach kehrte das Leben in den Fellknödel zurück und rechtzeitig zum Frühjahr war Nepomuk wieder fit. Sein Schwänzchen konnte er von da an zwar nicht mehr in die Höhe recken und im Heilungsprozess nahm es auch eine gehörige Schieflage ein, aber das störte weder den Kater noch seine überglückliche Familie und die vielen Fans und Bewunderer. Nepomuk war zurück.

Leider währte das Glück nur einen Sommer und einen Herbst lang. Am 25. Dezember verschwand Nepomuk. Ausgedehnte Suchaktionen, Dutzende an Bäume und Pfähle geheftete Suchanzeigen und Veröffentlichungen in Print- und Sozialen Medien blieben erfolglos. Vielleicht taucht Nepomuk eines Tages wieder auf – so wie damals als Jungspund. Wahrscheinlicher ist jedoch, dass er nie mehr zurückkehrt. Unvergessen wird er immer bleiben, aber in einem Blog sollen von nun an in regelmäßigen Abständen seine Abenteuer erzählt werden. Manche Geschichten sind wahr, manche erfunden. So oder so sollen sie die Erinnerung wach halten an einen der erstaunlichsten Kater, die jemals das Leben seiner Menschen bereichert haben. Mach’s gut, Nepomuk, wo immer Du bist – wir vermissen Dich von hier bis zum Mond.

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