Ein feines Näschen für Komfort

Ein feines Näschen für Komfort

An einem faden Novembertag im ersten Corona-Herbst richtete eines Morgens ein fremder Gast seinen hypnotischen Blick durch das Fenster auf die Frau am Frühstückstisch. Die Ohren sondierten wie zwei Satellitenschüsseln die Umgebung, aber die Augen waren starr auf den Rücken des Getreidekaffee-trinkenden Menschen geheftet. Irgendwann musste er ihn beachten, man musste nur Geduld haben. Wie sich herausstellte, nicht allzu viel: Die Frau bemerkte den Kater recht schnell und reagierte in angemessener Weise, indem sie ihm die Tür öffnete. Er spazierte in die Küche, als hätte er das Haus tagelang intensiv beobachtet und aus seinen Beobachtungen heraus einen exakten Grundriss erstellt.

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Er hielt sich nicht mit langen Begrüßungs-Schmeicheleien auf und nahm das Menü ins Visier, das ein Plastikkater auf zwei Silberschälchen präsentierte. Dass dieses Trockenfutter für eine hier heimische Artgenossin reserviert war, interessierte den weißen Kater mit der getigerten Decke nur peripher. Jetzt galt es erst einmal, den morgendlichen Hunger zu stillen und danach ein gepflegtes Nickerchen zu halten. Der Zweibeiner, der vor lauter Verzückung höchst merkwürdige Geräusche von sich gab, stand dem Vorhaben jedenfalls nicht im Weg und von der äußerst aufregend riechenden Katze fehlte zunächst jede Spur.

Im Wohnzimmer neben der Küche machte Herr Nepomuk ein weiches Kissen auf einer Couch aus, mit einem Panoramablick auf eine Längsachse des neuen Reviers. Er machte es sich gemütlich, genoss noch ein paar Massageeinheiten am Kopf und rollte sich zu einem flauschigen Ball zusammen. Herr Nepomuk hatte sein erstes Basislager bezogen. Hierher würde er jeden Morgen zurückkehren, um nach einem ausgiebigen nächtlichen Kontrollrundgang durch seine Gegend auszuruhen. Die wohlriechende Samtpfote, die hier ihren festen Wohnsitz hatte, interessierte ihn zunächst nicht weiter. Er war jung, für Liebesabenteuer hatte er noch das ganze Leben vor sich.

Herr Nepumuk interessierte sich mehr für den Nutzen als die Eigenarten der Zweibeiner

Nach ein paar erholsamen Stunden reckte und streckte sich Herr Nepomuk und gähnte genüsslich. Dabei streckte er seine rosafarbene Zunge weit aus dem Maul, was den Zweibeiner im Raum offenbar sehr amüsierte. Der Kater schenkte dem merkwürdigen Verhalten keine größere Aufmerksamkeit. Wie alle seine Artgenossen interessierte sich auch Herr Nepomuk weniger für die Eigenarten als vielmehr für den Nutzen der Zweibeiner als Bereitsteller schmackhafter Nahrung, die nicht erst mühsam gefangen werden musste, und bequemer Schlafstellen. Bei seinen Streifzügen durch die Wohnsiedlung hatte er gleich mehrere dieser Exemplare entdeckt, die zudem auch noch äußerst günstig positioniert waren. Die entsprechenden Schlaf- und Fressstellen deckten sich mit zentralen Koordinaten seiner Reviergrenzen. Ein perfektes Reich, das es mit einem ausgeklügelten Markierungssystem zu sichern galt.

Der junge Kater steuerte seine diversen Basisstationen regelmäßig, aber nicht sklavisch nach einem festgelegten Muster an. Herr Nepomuk ließ sich nämlich gerne treiben, er war ein Freigeist, ein Lebekater sozusagen. Wenn die Herbstsonne ihre wärmenden Strahlen auf die Holzdielen einer Terrasse warf, ließ er auch gerne mal einen Beobachtungsposten aus. Die Konkurrenz schien hier ohnehin nicht sehr aktiv zu sein. Zumindest war ihm bislang kein vierpfötiges Exemplar seines Kalibers in die Quere gekommen. Im Gegenteil: Die meisten Stubentiger waren offenbar von ihren Zweibeinern zu sehr verhätschelt worden, um sich auf einen offenen Straßenkampf einzulassen. Umso besser. Ab sofort war er hier der King of the Road.

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